Bei Oma ist alles anders

Neulich, als ich bei Oma war, fragte ich sie nach der Uhrzeit. Ich hatte nämlich meine Armbanduhr zu Hause vergessen. Oma (84 Jahre jung und noch rüstig) stellte sich also vor ihre kleine hübsche (und ungenaue) Uhr und fing an zu rechnen....
Da wurde mir mal wieder bewußt, daß bei Oma alles anders ist.

Ihre Uhren zum Beispiel, die werden nie auf Sommer- oder Winterzeit umgestellt. Die Mühe spart sie sich. Wenigstens konnte ich sie nun dazu überreden, daß die Küchenuhr umgestellt wurde, denn die wird am meisten beachtet. Daß die alte Uhr ungenau geht und in der Woche 5 Minuten verliert, stört Oma nicht im geringsten. Gelegentlich wird die Uhr dann mal kräftig vorgestellt, damit sie wieder ihre Minuten verlieren kann.
Oma sagte mir also die errechnete Zeit und ich hörte schon an ihrer Stimme, daß sie ihrem Rechenergebnis selbst nicht traute. Also ging ich in die Küche, las dort die Zeit ab und addierte eine Viertelstunde hinzu, dann hatte ich es wenigstens ungefähr. So auf die Minute kommt es ja nicht an. Zumindest bei Oma muß man sich so etwas abgewöhnen, denn Oma hat viel Zeit. Bei Oma ist eben alles anders.

Wenn sie große Wäsche hat, hilft man ja gerne und hängt die Wäsche auf. So große und schwere, nasse Teile sind ihr dann doch zu mühsam. Aber das Wäsche aufhängen hat seine Tücken : man muß unbedingt die richtige Reihenfolge einhalten, die Wäschestücke werden keineswegs irgendwie und wahllos aufgehängt ! Oh nein, wie sieht denn das aus ?
Und es ist nicht nur die Reihenfolge wichtig, auch wo die Klammern hinkommen, ist entscheidend. Handtücher darf man nicht an den Ecken anklammern, sonst werden sie zipfelig, man muß sie über die Leine klappen. Aber nur ein wenig, nicht zu breit, sonst trocknet es zu langsam....

Schon damals, als Omas Enkelkinder noch klein waren, lernten wir Eltern, daß bei Oma alles anders ist. Die Kinder maulten : "Bei Oma dürfen wir das !" - "Na gut," sagten wir, "dann macht es bei Oma so, aber zuhause bitte nicht."
Wenn Oma und Opa zu Besuch kamen, haben sie mit den Kindern gefrühstückt. Es gab Brötchen mit Kräuterkäse und die Kinder waren ganz vernarrt in dieses Frühstück, haben extra vorher nichts gegessen.
Wir haben uns dann den genau gleichen Käse besorgt, um den Kindern eine Freude zu machen. Aber umsonst, die Brötchen schmeckten nicht gleich, sie waren ja nicht "von Oma und Opa".

Opa lebt nun leider nicht mehr und die Enkelkinder sind längst erwachsen. Aber die niedlichen bunten Kinderteller mit den Märchenmotiven, die benutzt Oma heute noch. Die sind praktisch, denn sie ißt nicht viel, da haben diese Teller gerade die richtige Größe. Außerdem sind sie aus Plastik und damit schön leicht. Und die (verblaßten) bunten Märchenmotive sind doch immer noch hübsch, findet sie.

Oma geht immer vorsichtig mit ihren Sachen um. Was nicht gebraucht wird, das wird in eine Plastikhülle oder in Packpapier gepackt, ordentlich mit einem Band verschnürt und dann erst weggestellt. Das schadet ja nichts, es stört nur, wenn unsereins mal etwas davon braucht. Das staubige Packpapier und das ausgefranste Band sollte man tunlichst aufbewahren, denn Oma liebt es, wenn sie ihre Sachen im "Originalzustand" zurück bekommt, wie etwa den Tapeziertisch.
(Nach dem dritten Mal war es mir zu dumm, da habe ich mir einen eigenen gekauft. Der steht jetzt unverpackt(!) in meinem Keller.)
Aber als ich feststellte, daß in Opas Auto die alten Schonbezüge mit neuen Schonbezügen überzogen waren, da blieb mir doch der Mund offen stehen...

Es ist auch sehr lehrreich, mit Oma einkaufen zu gehen. Oma hat die meisten Preise im Kopf und merkt gleich, wenn ein Artikel in einem anderen Geschäft billiger ist. Wohl gemerkt, sie achtet nicht auf die Marke, nur auf den Preis.
Oma kauft immer preisgünstig, die Marke ist ihr egal. Das soll aber besser schmecken ? Ist auch egal, ist zu teuer !!!
Dabei kann man aber nicht sagen, Oma wäre geizig ! Ihren Lieben gegenüber ist sie immer sehr spendabel. Nur in den Geschäften nicht, die haben sich gefälligst nach ihren Preisvorstellungen zu richten ! Tun sie das nicht, wird eben woanders gekauft. Dabei nimmt sie auch lange Wege und zusätzliches Schlangestehen an der Kasse in Kauf, Hauptsache, der Preis stimmt. Ich hätte ja nicht soviel Zeit, aber bei Oma ist alles anders.

Trotzdem gehe ich gerne mit ihr einkaufen. Hinterher haben wir dann 2 große Taschen voll, das reicht für etwa 2 Wochen und das könnte sie natürlich niemals selber tragen. Auf die Konservendosen schreibt sie mit dickem Stift das Datum, dann kommen sie in den Keller. Oma hält sich gerne viele Vorräte. Aber nicht nur von Lebensmitteln, auch von leeren Plastikdosen und -tüten hat sie einen ganzen Schrank voll. Wenn ich ihr kleines Gartenstück bei der Terasse geputzt und gepflegt habe und eine Plastiktüte für das Unkraut brauche, sucht sie umständlich nach einer, die sie dafür entbehren kann. Dann bittet sie mich noch, ihr Bett zu beziehen, den Müll rauszubringen und um weitere Kleinigkeiten. Ganz egal, was sie möchte, Oma ist ein wirklich lieber Mensch und da tut man ihr jeden Gefallen und macht ihr gerne eine Freude.

Eines Tages bin ich wohl auch 84 und ein Opa. Vielleicht schreiben dann meine Kinder über meine Macken, denn auch bei Opa ist bestimmt "alles ganz anders".

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