Weihnachtsabend bei Matthias Claudius, 1796

Der erste Tannenbaum als Weihnachtsbaum in Norddeutschland stand im Wandsbeker Schloß.
Links im Bild steht der junge Hamburger Buchhändler Perthes. Er hat von dem Baum einen Goldapfel genommen, den er Karoline Claudius überreicht, um ihr seine Neigung zu bekennen. Diese Szene steht im Mittelpunkt des Bildes von Th. v. Oers.
Weihnachtsabend bei Matthias Claudius, 1796
Rechts im Bild ist die mächtige Gestalt des Dichters Klopstock, der ein aufgeschlagenes Buch auf seinem Schoß liegen hat. Hinter ihm stehen die Brüder Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg. Neben den beiden Brüdern, rechts neben dem Weihnachtsbaum steht das Ehepaar Rebekka und Matthias Claudius. Zwischen Friedrich Perthes und Karoline Claudius steht der junge Max Jacobi, ein Sohn des Philosophen Jacobi. Dieser begleitete am Klavier das gemeinsame Singen der Weihnachtslieder. Im Vordergrund sehen wir die Schar der Kleinen mit den weihnachtlichen Spielsachen beschäftigt, das Ehepaar Claudius hatte damals neun Kinder.

Durch den jungen Max Jacobi hatte im Sommer 1796 der Hamburger Buchhändler Friedrich Perthes die Familie des Matthias Claudius (genannt: "der Wandsbeker Bote") kennengelernt. Am 27. November war er zum erstenmal als Gast in Wandsbek, wo er Karoline, die älteste Tochter des Matthias Claudius kennenlernte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Am 2. August 1797 heirateten Karoline Claudius und Friedrich Perthes.

Das Weihnachtsfest auf dem Wandsbeker Schloß vom Dezember 1796 hat Albert Petersen in seinem Buch "Der junge Perthes" sehr lebendig dargestellt:

"Max Jacobi sitzt am Klavier. Kindlich fromm singend umsteht die Gesellschaft im Halbkreis den Tannenbaum. Sie singen das süße Christlied: 'Es ist ein Ros' entsprungen'.
Halb durch einen vollen Zweigfächer verdeckt, sieht Karoline Claudius drüben den jungen Perthes stehen. Sie will eigentlich nicht hinsehen, sich nicht ablenken lassen. Aber welch ein andächtiges Kindergesicht er zeigt! Wie seine Augen mit den Lichtern um die Wette strahlen! Jetzt streift sie seinen Blick. Schnell sieht sie weg; zum Goldapfel da oben, der im Tannenbaum dicht unter der Spitzenkerze hängt.

'Das Röslein, das ich meine, davon Jesaias sagt . . .' stimmt Perthes jetzt lauter an. Er läßt den Blick über die Gesichter streifen. Wie andächtig sie alle sind! Liegt nicht in Herrn Claudius Augen ein Glanz wie aus einer fernen, höheren Welt?
Feierlich tritt dieser aus dem Kreise an den Baum, öffnet die silberne Schließe des Andachtsbuches und liest die Epistel des heiligen Christtages vor.
Fräulein Lenchen klatscht in die Hände und ruft in glückseliger Gebefreudigkeit: "Zum Gabentisch! Zum Gabentisch!" und auf den Tellern, auf der weißgedeckten Tischplatte zeigen kleine Namenszettel jedem an, welche Nüsse, Äpfel und braune Kuchen für ihn bestimmt sind.

'Oh, die schöne Nadel', hört Perthes Fräulein Anna rufen und sieht, wie sie wohl in der Absicht, den Geber durch ihre Freude am Geschenk zu erfreuen, die roten Steine blitzen läßt. Das hat natürlich der junge Jacobi ihr besonders hingelegt, denkt Perthes entrüstet, und das ist taktlos, denn Fräulein Karolines Teller trägt nur ein paar Nüsse und braune Kuchen. Und ohne sich zu besinnen, springt er zum Christbaum hinüber, bemerkt dabei nicht, daß die Gesellschaft von ihren Tellern, von ihrem Plaudern aufsieht und sein Tun mit erstaunten Blicken verfolgt. Oben hängt der schöne vergoldete Apfel! Perthes zerrt nicht gerade leise, nicht geschickt, einen Sessel an die Wand, klettert auf die überragenden Borte der halbhohen Wandtäfelung und... reißt den Apfel oben ab, läßt sich von der Borte fallen, tritt glutrot an Fräulein Karolines Teller und legt rasch den Apfel darauf. Man sieht sich fragend an, Herr Claudius räuspert sich verlegen, unwillig, aber Fräulein Lenchen hilft mütterlich: 'Max, du sagst uns jetzt Vaters immerschönes Winterlied auf!'
'Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer...'


Acht Strophen hat das Lied und Perthes hat genügend Zeit, über sein Heldenstück nachzudenken. Wie kam er eigentlich dazu? Was sollte das? Durfte er es überhaupt? Was denkt man nun von dir? Er schämt sich, weiß nicht, wohin er sehen soll und bemerkt daher nicht, daß Fräulein Karolines Augen die seinen suchen; das liebe Mädchen macht sich Vorwürfe, daß es ihm vor Überraschung nicht einmal gedankt hat.
'Und seh'n ihn an und frieren.'

Der Vorfall scheint vergessen. Man plaudert, lacht, knabbert Kuchen. Herr Claudius beißt herzhaft in einen rotwangigen Apfel, Max Jacobi entkorkt sachkundig einige langhalsige Flaschen. Perthes hat sich vor den Christbaum gestellt, tut, als erfreue er sich an den Lichtern und am Schaumgoldglanz. Aber in ihm führen Verlegenheit und ein unbestimmtes Etwas seliger Stimmung einen zähen Kampf miteinander."


Als Friedrich Perthes und Karoline längst verheiratet sind, erinnert er sie in einem Brief an diesen Weihnachtsabend 1796. "Weißt du noch, wie ich Dich das erste Mal sah, wie Du Weihnachten auf den Wagen stiegst; wie Du allein auf dem Schloß mit mir in dem Zimmer warst; wie die Weihnachtsfreude anging; wie ich mich ärgerte, daß Du einen schlechteren Muff bekamst als die anderen; wie ich Dir den goldenen Apfel reichte! Weißt Du das alles noch, süßes Herz? Mein Weib! Meine Karoline!"





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