Gartenfenster

Mariannes Tiergeschichten

Mutterliebe

Wir wohnen in einer Siedlung, deren Häuser im Rechteck angeordnet sind. Inmitten ist ein wunderschöner Hofgarten, ringsherum sind Büsche, ab und zu steht eine Birke auf dem grünen Rasen. Auch vor unserem Küchenfenster steht eine hohe Birke, in deren Krone sich ein Vogelnest befindet. Wir konnten täglich das Rufen der jungen Vögel hören.

Im vergangenen Frühjahr hörten wir im Hofgarten eine Nebelkrähe, die unentwegt krächzte. Wir sahen aus dem Fenster und entdeckten sie auf dem Rasen vor unserem Fenster. Oh je, die ist wahrscheinlich aus dem Nest gefallen! Mein Mann hielt mich davon ab, eine Rettungsaktion zu starten.
Die Natur hilft sich selbst! Aber was nun, wenn der Jungvogel da unten Hunger hat? Er krächzte seit Stunden, irgendeiner muß ihm doch helfen!

Plötzlich saß auf dem Dachfirst eine große Nebelkrähe. Sie flog herab zu dem Jungtier und fütterte es. Wir waren sehr froh, daß die Mutter sich um ihr Kind kümmerte. Nun konnten wir beobachten, daß die Mutter dreimal am Tag kam und den Kleinen fütterte. Allerdings krächzte der auch lange und laut, die Mutter musste ihn hören.
Eines Tages entdeckten wir eine junge Nebelkrähe, die am Boden unserem "Clowny" - so nannten wir ihn jetzt - offenbar zeigte: hier, das kannst du picken und dieses hier kannst du fressen. Einige Tage hintereinander war diese junge Nebelkrähe hier im Hofgarten und zeigte unserem Clowny was er vom Boden aufpicken konnte, um seinen Hunger zu stillen.

Es beunruhigte uns sehr, daß Clowny offenbar nicht fliegen konnte. Er lief nur auf dem Rasen herum. Manchmal hüpfte er die Stufen zum Weg empor. Dort war eine kleine Mauer, auf der er hin und her lief. Irgendwann traute er sich, von dieser Mauer herunter zu hüpfen. Eines Tages flog er auch von dort drei oder vier Meter nach unten auf den Rasen. Dann erschien die Vogelmutter und landete diesmal nicht bei unserem Clowny, sondern flog durch den Hofgarten. Wer Hunger hatte, musste ihr folgen.   Oh je !!   Hinten im Hofgarten rief die Vogelmutter und bei uns rief Clowny. Der Hunger war wohl sehr groß. Jedenfalls sahen wir, daß Clowny weiter nach hinten flog, einen Meter über dem Boden. Höher zu fliegen traute er sich nicht.

Tage vergingen, dreimal täglich fütterte die Mutter unseren Clowny. Aber er mußte ihr in den hinteren Hofgarten folgen, einen Meter über dem Boden. Wir machten uns große Sorgen ... so kommt der Kleine hier nie heraus.

Drei Wochen waren nun vergangen, als wir im Hofgarten plötzlich das Gekrächze von sehr vielen Nebelkrähen hörten. Es war ein unheimlicher Lärm im Hof. Danach wieder Stille. Unseren Clowny sahen wir nicht. Weder am Abend, noch am Morgen.
Die vielen Krähen haben ihn doch nicht etwa mitgenommen? Er war nicht mehr da.
Dann aber hörten wir ihn, vor unserem Wohnhaus. Wir liefen zum Fenster und sahen ihn, wie er auf dem Rasen - diesmal vor dem Haus - hin und her lief und nach der Mutter rief. Die saß auf der anderen Straßenseite im Baum und krächzte. Clowny startete und und flog zum Baum. Wir waren überglücklich. Er hatte es geschafft und konnte nun im Park sein Futter selbst suchen.

Ein Jahr ist vergangen. Manchmal sitzt oben auf dem Dachfirst eine Nebelkrähe. Wir bilden uns ein, es ist unser Clowny.

©   Marianne Claußen

vorige Seite   nächste Seite

Titelseite   Katzengeschichten   Holzwurmgeschichten   Scherzseiten   Links   eMail